Sommersession 2024

Nach dem Abstimmungswochenende und der Niederlage bei der Prämieninitiative bin ich enttäuscht – denn die Prämien werden in Zukunft noch stärker ansteigen und noch ist keine Lösung zur Entlastung der Bevölkerung in Sicht. Wir werden nicht locker lassen und uns weiterhin für ein soziales Gesundheitswesen im Sinne der Patientinnen und Patienten und für den Schutz der Kaufkraft engagieren, unter anderem mit der Lancierung einer Initiative für eine öffentliche Krankenkasse.

Die Sommersession war voller rechter Symbolik. SVP, FDP und Mitte haben sich mit der Erklärung zum EGMR-Urteil über die Gewaltenteilung hinweggesetzt. Das Ziel: Der Bundesrat soll das Klima-Urteil nicht beachten. Immer mehr politische Kräfte im In- und Ausland wollen sich an keine strafrechtlichen oder völkerrechtlichen Regeln mehr halten und delegitimieren damit das Recht. Der Schutz der Menschenrechte bedeutet nicht nur, diese Rechte abstrakt anzuerkennen, sondern gerichtliche Urteile dazu zu respektieren. Dass nun eine Mehrheit des Schweizer Parlaments das in Frage stellt und ein verpflichtendes Urteil für die Schweiz einfach ignorieren will, macht mir Sorgen.

Eindrücklich war für mich das Treffen mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk. Er hat von den Gräueltaten der Putin-Armee in der Ukraine erzählt, von ukrainischen Kindern, die nach Russland verschleppt werden und vom Bombenalarm, der nach wie vor jeden Tag in Kiew ertönt. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, galt während seines Besuchs im Bundeshaus die höchste Sicherheitsstufe. 

Sinnbildlich für die rechte Symbolik der Sommersession standen während des Besuchs zwei SVP-Parlamentarier, die sich im Bundeshaus eine körperliche Auseinandersetzung mit Polizisten leisteten, weil sie die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen nicht akzeptieren wollten. Was für eine lächerliche und für die Institutionen der Schweiz peinliche Aktion! Die SVP wird immer offensichtlicher zu Putins Propagandamaschinerie in der Schweiz. 

Wenig überraschend war die Session zudem geprägt von Debatten rund um das Armeebudget. Die bürgerliche Mehrheit will massiv mehr Geld ins Militär investieren – und zwar auf Kosten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Krisenhafte Zeiten erfordern eine handlungsfähige Politik. Statt mit einem zwei Milliarden-Abbau bei der internationalen Hilfe einen Kahlschlag in den ärmsten Regionen der Welt zu verursachen, muss die restriktive Finanzpolitik der Schweiz in ihren Grundsätzen neu aufgegleist werden. Die gesetzlich viel zu starre Schuldenbremse lähmt den Staat und führt gleichzeitig zu einer absurd tiefen Schuldenquote, die übrigens auch in Zukunft immer weiter sinken wird, während die Herausforderungen unserer Zeit immer zahlreicher werden. Früher oder später werden auch die anderen Parteien zu dieser Einsicht gelangen. 

Gleichzeitig haben wir einige wichtige Erfolge – abseits des medialen Fokus – verbuchen können. So habe ich erreicht, dass Opfer von sexueller Gewalt ihre Aufenthaltsbewilligung auch dann behalten können, wenn sie sich vom gewalttätigen Partner trennen. Und afghanische Frauen und Mädchen erhalten weiterhin Asyl in der Schweiz, weil ihre Menschenrechte in Afghanistan grundsätzlich missachtet werden. Leider erfolglos blieb unser Einsatz für eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt, wo der Krieg weiter tobt und die Zweistaatenlösung die einzige verbleibende und realistische Option für einen sicheren und gerechten Frieden ist. Und schliesslich hat unser jahrelanger Einsatz gegen Steuersenkungen gewirkt – die bürgerlichen Parteien haben auf die nächste Steuergeschenke für grosse Konzerne gleich selbst verzichtet (Tonnage-Steuer).  

Rechtsbruch beim Klima-Entscheid schadet den Menschenrechten

Global gesehen ist die Demokratie ins Hintertreffen geraten. Nur 13 Prozent der Menschen leben in demokratischen Staaten. Auch in Europa missachten immer mehr Mächtige die Menschenrechte – Viktor Orban ist nur ein Beispiel dafür. Die Erklärung der eidgenössischen Räte für die Nicht-Beachtung des EGMR-Urteils ist deshalb ein Spiel mit dem Feuer. Sie schwächt die Menschenrechte generell und bietet autoritären Herrschern bei zukünftigen Verstössen einen neuen Vorwand – schliesslich schere sich die “ur-demokratische Schweiz” auch nicht um verpflichtende Urteile. Besonders absurd daran ist, dass sich die Schweizer Stimmbevölkerung immer wieder für einen ambitionierten Klimaschutz und für die Energiewende ausgesprochen hat – zuletzt am 9. Juni mit dem deutlichen Ja zum Stromgesetz. 

Afghaninnen erhalten weiterhin Schutz

Es war ein wichtiger Schritt, als unsere Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im letzten Jahr die Asylpraxis so geändert hatte, dass Afghaninnen in der Schweiz grundsätzlich Asyl erhalten sollen. Denn sie werden in Afghanistan durch das islamistische und frauenverachtende Taliban-Regime massiv unterdrückt, ihrer Menschenrechte beraubt und verfolgt. Sie haben kein Recht auf Bildung oder Arbeit und dürfen nicht einmal mehr alleine das Haus verlassen. Die Situation hat sich in Afghanistan immer mehr radikalisiert, so dass viele europäische Staaten – auch die Schweiz – die Asylpraxis für Frauen angepasst hatten. FDP und SVP wollten dies nun rückgängig machen. Zum Glück stützte die Mehrheit im Nationalrat die Flüchtlingskonvention und lehnte den Vorstoss dazu ab – wenn auch extrem knapp mit 92 zu 91 Stimmen.

Besserer Schutz vor häuslicher Gewalt

Ausgerechnet am feministischen Streiktag durfte ich ein Projekt erfolgreich abschliessen, für das ich die letzten fünf Jahre sehr viel gearbeitet habe und in dem ganz viel Engagement und Herzblut von mir und meinen Mitstreiterinnen steckt. Die eidgenössischen Räte haben am letzten Tag der Session einer Erweiterung der Härtefallregelung für Migrantinnen zugestimmt, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Bisher hat das repressive Ausländerrecht dazu geführt, dass die Opfer häuslicher Gewalt ohne Schweizer Pass in gewalttätigen Ehen geblieben sind, aus Angst, das Land verlassen zu müssen. Das wird sich nun ändern.  Ich freue mich sehr, dass wir damit von Gewalt betroffene Personen besser schützen können. Mit Ausnahme der SVP und ein paar Ständeräten der Mitte haben alle Parteien zugestimmt. In der aufgeheizten politischen Debatte zum Recht auf Asyl und zur Migration ist das eine eigentliche Sensation.

Massiv mehr Geld für die Armee auf Kosten der internationalen Zusammenarbeit

Die Sicherheitskommission des Ständerats hatte einen Fonds von 15 Milliarden vorgeschlagen, um in die Armee zu investieren und die Ukraine zu unterstützen. Denn die viel zu starre Schuldenbremse verunmöglicht es, solche wichtigen Investitionen zu tätigen, ohne in anderen Bereichen, namentlich der Entwicklungszusammenarbeit, massive Kürzungen vorzunehmen. Der Ständerat hat diese Idee abgelehnt. Stattdessen soll nun die Armee zwar trotzdem 4 Milliarden mehr erhalten, diesmal aber voll auf Kosten der internationalen Hilfe – obwohl die Bevölkerung in Umfragen immer und immer wieder deutlich hinter den aktuellen oder sogar noch höheren Ausgaben in der internationalen Zusammenarbeit steht. Im Nationalrat werden wir alles dafür geben, diesen Entscheid rückgängig zu machen.

Die Zweistaatenlösung als Hoffnung im Nahostkonflikt

Die SP hat sich im Nationalrat dafür eingesetzt, dass der Bundesrat bei der Befreiung aller von den Hamas aus Israel entführten Geiseln Palästina als Staat anerkennt. Für die Schweiz ist die Zweistaatenlösung die einzige Möglichkeit, nach dem abscheulichen Gaza-Krieg und dem Terrorangriff vom 7. Oktober eine friedliche Perspektive für die ganze Region bieten zu können. Leider konnten wir dafür im Nationalrat keine Mehrheit finden, wir bleiben aber dran und tun alles in unserer Macht stehende, um die Schweizer Diplomatie zum Schutz der Menschen in Gaza und zur raschen Befreiung der Geiseln zu nutzen.

Unsere gewonnen Referenden wirken: Tonnage-Steuer erleidet Schiffbruch

Nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III, dem Kinderabzug für Reiche, der Abschaffung der Stempel- und der Verrechnungssteuer wollten die Bürgerlichen zum fünften Mal innerhalb weniger Jahre eine Steuer für Unternehmen senken respektive sogar ganz aufheben – die sogenannte Tonnage-Tax. Reederei-Unternehmen hätten in Zukunft statt auf ihren Gewinn auf die Ladekapazität ihrer Schiffe Steuern bezahlen müssen. Weil wir in den letzten Jahren sämtliche Referenden zu diesem Thema gewonnen hatten, die Vorlage wiederum zu massiven Steuerausfällen geführt und wohl sogar gegen die Bundesverfassung verstossen hätte, konnten wir das Projekt bereits im Parlament versenken. Unser Referendum war bereits angekündigt – und dank unseres mehrfachen Einsatzes gegen absurdes Steuerdumping war diese Drohung äusserst wirkungsvoll.

Prämieninitiative und neue Projekte in der Gesundheitspolitik

Nach dem Nein zur Prämien-Entlastungsinitiative müssen wir umso entschiedener nach Lösungen suchen, um die Bevölkerung von den explodierenden Krankenkassenprämien zu schützen. Bereits per 2025 werden sie nämlich wiederum um rund sechs Prozent ansteigen. Wir lancieren deshalb eine neue Initiative für eine öffentliche Krankenkasse.

Die Systemänderung ist zwingender denn je. Der Pseudo-Wettbewerb der 44 Krankenkassen ist ineffizient. Alleine im letzten Jahr haben die vielen Kassenwechsel rund 300 Millionen Franken an unnötigen Kosten verursacht. Je nach Berechnung können die Kosten sogar noch höher ausfallen. Entscheidend ist aber auch der fehlende Mehrwert, den die Krankenkassen erbringen. Die Versicherungsdeckung ist ja bei allen gleich. Die unternehmerische Leistung ist sehr bescheiden: Die Krankenkassen gehen keine Risiken ein und ihre Ausgaben sind alle durch die Prämien gedeckt. Vielmehr könnten bei einer einzigen öffentlichen Krankenkasse die Ausgaben für Werbung, Makler und Marketing sowie für die Verwaltung und die exorbitanten Managerlöhne eingespart werden.

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