Dieser Text wurde kürzlich in der Volksstimme veröffentlicht.
Meine Erinnerungen an meine Kindheit bestehen grossmehrheitlich aus Emotionen und Anekdoten, die sich aneinanderreihen. Viele Bilder sind verschwommen. Erzählungen, die sich dutzende Male wiederholen, veränderten sich mit der Zeit. Dazu gehört auch meine Politisierung. Die Politik, sie war immer da, und doch lange nicht ganz fassbar. Ein Satz der Frauen in meiner Familie habe ich mir allerdings eingeprägt, und er ist leider bis heute aktuell: Die Schweiz ist in gleichstellungspolitischen Fragen ein Entwicklungsland. Ja, unser Land hat es sich immer besonders schwer gemacht, frauen-, familien- und gleichstellungspolitische Fortschritte anzugehen. Das bekannteste Beispiel dafür ist die peinlich späte Einführung des Frauenstimmrechts 1971.
Heute versucht meine Generation angestrengt, veraltete Rollenbilder aufzubrechen. Frauen versuchen nach der Familiengründung weiterhin Erwerbsarbeit zu leisten, obwohl die familienergänzenden Betreuungsstrukturen ungenügend und zu teuer sind und die Lohnungleichheit noch immer Realität ist. Männer versuchen eine aktivere Vaterrolle als die vorherige Generation zu übernehmen, können aber beim Job ihr Pensum nicht reduzieren. Eltern tragen die Last und Verantwortung für die nächste Generation, doch die Sorge-Arbeit wird bis heute als Hobby herabgestuft, das locker neben einer 42-Stundenwoche zu tragen sei.
Dass es Familien in der Schweiz besonders schwer haben, zeigt eine Unicef-Studie: Im europäischen Vergleich besetzt die Schweiz – notabene eines der reichsten Länder der Welt – den letzten Platz, wenn es um Familienfreundlichkeit geht. Sie steht damit hinter Ländern wie Grossbritannien, Zypern und Griechenland.
Wenn der politische Handlungsbedarf so offensichtlich ist, fragt man sich manchmal zurecht, woran Verbesserungen denn scheitern. Ich kann es Ihnen sagen: An der arroganten, elitären Haltung des Freisinns und der Rechtskonservativen. Exemplarisch dazu stehen zwei Vorlagen, über die wir am 27. September abstimmen. Die erste verlangt die Einführung eines 10-tägigen Vaterschaftsurlaub. Männern soll es in Zukunft möglich sein, nach der Geburt ihres Kindes zehn Tage von ihrem Arbeitsplatz fernzubleiben, um zuhause arbeiten zu können. Die Kosten werden sinnvollerweise über eine Erhöhung der Lohnabzüge getragen: Bei einem Lohn von 6500.-/Monat sind das 1.95 Franken, die zur Finanzierung des Vaterschaftsurlaub eingesetzt werden. Die Rechten finden, das sei ein unnötiger Luxus, man solle halt für einmal auf die Golfferien verzichten (O-Ton Roger Köppel).
Die zweite Vorlage nennt sich «Steuerliche Berücksichtigung von Fremdbetreuungskosten». Darüber wird vergleichsweise wenig diskutiert. Die Steuerabzüge für Kinderbetreuung sollen erhöht werden, unabhängig davon, ob die Betreuung extern oder in der Familie erfolgt. Auf den ersten Blick sympathisch, entpuppt sich diese Gesetzesänderung allerdings als Mogelpackung. Davon finanziell profitieren würden nur die Wohlhabendsten, konkret die reichsten 6% aller Familien. Diese Steuergeschenke würden allerdings über 370 Millionen Franken kosten. Das ist viel Geld, das für sinnvolle Investitionen in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wiederum fehlen würde. Dieser Bschiss muss dringend abgelehnt werden, damit wir im nächsten Ranking vielleicht eine bessere Platzierung erreichen.