Wintersession 2022

Das Programm der Wintersession war dieses Jahr extrem dicht gedrängt. Unter anderem haben wir zwei neue Mitglieder in den Bundesrat gewählt: Albert Rösti (SVP) und Elisabeth Baume-Schneider (SP). Elisabeth ist die erst 10. Bundesrätin der Schweiz und die allererste Vertreterin aus dem Kanton Jura. 

Elisabeth Baume-Schneider und ich haben in den letzten drei Jahren insbesondere in der Sozialpolitik eng zusammengearbeitet. Bis zu ihrer Wahl als Bundesrätin war sie Vize-Präsidentin der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Zu ihrer Zeit in der jurassischen Regierung war sie Vorsteherin der Nordwestschweizer ErziehungsdirektorInnenkonferenz. Dabei hat sie sich stets für gute Beziehungen mit den deutschsprachigen Nordwestschweizer Kantonen eingesetzt. Unter anderem hat sie gemeinsam mit dem Gymnasium Laufen die erste zweisprachige Matur eingeführt.

Mit Elisabeth hat die SP in Bern eine Stimme, die sich konsequent für eine soziale Schweiz einsetzt, und zwar in den Städten, den Agglomerationen und auf dem Land. Als Justizministerin wird sie vor allem bei der Gleichstellung, der Migration und den Bürgerrechten fortschrittliche Akzente setzen können.

Ein grosses Danke gilt natürlich auch Eva Herzog, unserer Basler Ständerätin und zweite Kandidatin auf dem SP-Bundesratsticket. Sie hätte unsere Region vom jahrelangen Warten auf einen Sitz im Bundesrat beinahe erlösen können. Umso mehr freut es mich, dass sie voraussichtlich in einem Jahr zur Ständeratspräsidentin gewählt werden wird – gleichzeitig mit Eric Nussbaumer, der dann Nationalratspräsident wird.

Die erste jurassische Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider wurde in Delsberg jubelnd empfangen.

Inhaltlich gibt es allerdings wenig erfreuliche Neuigkeiten. Wir konnten zwar einige wenige, aber wichtige Erfolge erreichen. Aber die Orientierungslosigkeit der Mitte-Partei führt zunehmend zu einem Reformstau und zu einem waschechten Problem für den Schutz der Kaufkraft und für ein gerechtes Steuersystem. 

Die Mitte-Ständeräte haben gleich mehrere Mitte-Links-Kompromisse zum Abschuss gebracht. Die kurzfristige Erhöhung der Prämienentlastungen zur Abfederung der steigenden Konsumentenpreise wurden im Ständerat von der Mitte verworfen. Auf den indirekten Gegenvorschlag zur SP-Prämieninitiative sind sie gar nicht erst eingetreten. Und den Kompromiss zur gerechten Verteilung der Zusatzeinnahmen aus der Mindeststeuer der OECD-Reform hat die Mitte trotz Kompromiss und gegen ihre eigenen Nationalräte zu Fall gebracht. 

Noch verrückter ist nur noch die neue Tonnage-Steuer, bei der grosse Reedereien (Schiffahrtunternehmen) nicht mehr nach Gewinn, sondern nach Transportkapazität besteuert werden sollen. Besonders stossend daran ist: Es gibt absolut keine Angaben zur Höhe möglicher Steuerausfälle. Andernorts sind die Rechten dann weit weniger grosszügig. Die Versprechen nach Rentenverbesserungen für die Frauen in der 2. Säule, die die Bürgerlichen während dem AHV-Abstimmungskampf gemacht haben, haben sich spätestens in dieser Session in Luft aufgelöst. 

Unsere Erfolge in der aktuellen Session

“Ja heisst Ja” – Riesiger Erfolg im Sexualstrafrecht im Nationalrat

Zurzeit wird das Sexualstrafrecht überarbeitet. Hier konnte die SP einen grossen Erfolg verbuchen. So hat der Nationalrat beschlossen, dass sich bei sexuellen Handlungen von nun an beide (alle) Seiten explizit einverstanden erklären müssen. Damit wird die veraltete Definition einer Vergewaltigung aktualisiert. Denn bis heute war nur “ungewolltes vaginales Eindringen” bei einer “Person weiblichen Geschlechts” und unter Drohung oder physischer Gewalt als Vergewaltigung definiert. Die neue Definition stellt hingegen das Wesentliche ins Zentrum: Wollen alle beteiligten Personen, was gerade geschieht? Wenn nicht, ist das nicht Sex, sondern Gewalt. Der Ständerat steht nun unter Zugzwang. 

Ausbildungsmöglichkeiten für Sans-Papiers-Kinder: Der Ständerat unterstützt die SP-Motion

In der staatspolitischen Kommission des Nationalrats hat die SP vor einigen Monaten eine Motion erarbeitet, um Sans-Papiers-Kinder einen einfacheren Zugang zu einer Berufslehre zu ermöglichen. Nach dem Nationalrat hat nun auch der Ständerat dieser Motion zugestimmt. Für zahlreiche Jugendliche ohne regulären Aufenthaltstitel, die teilweise sogar in der Schweiz geboren wurden, wird diese Revision eine wesentliche Verbesserung ihrer Lebensumstände bewirken. Ich freue mich sehr. 

Oligarchen-Taskforce soll endlich Putins Oligarchen aufspüren

Seit Monaten müssen wir in der (internationalen) Presse lesen, dass in der Schweiz russische und belarussische Oligarchengelder nicht konsequent aufgespürt und eingefroren werden. Nun ist uns ein wichtiger Schritt gelungen. Der Nationalrat hat einem SP-Vorstoss der Wirtschafts- und Abgabenkommission (WAK) zugestimmt, der eine Taskforce einsetzen will, um diese Vermögen zu sperren. Dieser Schritt ist wichtig und entspricht einer zentralen Forderung der SP: Die Schweiz muss alles tun, damit die Sanktionen gegen das Putin-Regime wirksam greifen. FDP und SVP haben sich erfolglos dagegen gewehrt. Nun ist der Ständerat am Zug. 

Politiker:innen müssen beinahe Lobby-Mandate offenlegen

Die NGO Lobbywatch hat jüngst untersucht, welche Politiker:innen in der Schweiz am stärksten mit grossen Lobbyverbänden verfilzt sind. Wenig überraschend sind es vor allem National- und Ständerät:innen von SVP, FDP und Mitte. Um endlich Transparenz in diesen Dschungel von Abhängigkeiten und bezahlten Mandaten zu bringen, wollten wir mit einem SP-Vorstoss die Ratsmitglieder dazu zwingen, ihre bezahlten Mandate ab jährlichen Einnahmen von 12’000 Franken offenzulegen. Im Nationalrat haben immerhin 89 Mitglieder dafür gestimmt. Es fehlten damit nur sieben Stimmen, davon fünf von der GLP, um die Abhängigkeiten der Politiker:innen aufzuzeigen. 

viele gebrochene Versprechen 

Die Mitte lässt die Bevölkerung im Stich

Nicht nur beim Gegenvorschlag zur SP-Prämienentlastungsinitiative: Die Mitte-Ständerät:innen haben ihr Wort auch bei der kurzfristigen Erhöhung der Prämienverbilligungen gebrochen. Nachdem die Mitte im Herbst zusammen mit uns versprochen hatte, dass sie angesichts der Kaufkraft-Krise die dreissigprozentige Erhöhung der Prämienverbilligungen mittragen würde, hat eine Mehrheit ihrer Ständerät:innen nun dagegen gestimmt (sogar gegen ihren eigenen Vorstoss!). Der Vorschlag ist damit vom Tisch. Es zeigt sich leider, dass die Mitte keine zuverlässige Partnerin für die Familien und zur Stärkung der Kaufkraft ist.

Bürgerliche brechen Frauenrenten-Versprechen aus der AHV-Abstimmung…

Frauen und Menschen mit Einkommen unter 9’000 Franken haben laut Nachwahlbefragungen die Erhöhung des AHV-Rentenalters im September dieses Jahres an der Urne klar abgelehnt. Das ist keine Überraschung. Denn sie sind es, die unter den sinkenden Renten leiden und sich keine frühzeitige Pensionierung leisten können. Eine knappe Mehrheit der Stimmbevölkerung hat die Erhöhung des Frauenrentenalters trotzdem angenommen – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bürgerlichen behauptet haben, dass sie die Rentensituation in der zweiten Säule verbessern wollen. Dieses Versprechen wurde nun gebrochen.

Statt eines Rentenzuschlags für tiefe Einkommen, der solidarisch über Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge finanziert wird, soll es nun teure und gleichzeitig wirkungslose Erhöhungen der Beitragssätze geben. Diese haben keinen Renteneffekt für die tiefen Einkommen, weil diese Erwerbstätigen heute in den meisten Fällen bereits Ergänzungsleistungen beziehen. Steigt ihre zweite Säule, werden die Ergänzungsleistungen um den entsprechenden Betrag reduziert. Eine Erhöhung der Beitragssätze für diese Einkommensklasse bedeutet für sie also tiefere Löhne während dem Erwerbsleben bei gleichbleibenden (zu tiefen) Renten während der Pension. 

Den Rentenzuschlag des Sozialpartnerkompromisses, der eben nicht über höhere Beitragssätze und damit Lohnkürzungen im Erwerbsleben finanziert würde, war den Bürgerlichen ein Dorn im Auge. Sie argumentierten, dass damit eine Umlagekomponente, analog zur AHV-Finanzierung, in die zweite Säule kommt, was systemfremd sei. 

Die Intitiative für eine 13. AHV-Rente hätte es ihnen während dieser Session ermöglicht, die Umlagefinanzierung ganz systemkonform in der AHV zu stärken. Doch das klare Nein im Nationalrat zeigt: Es war nie eine Frage der Systemkonformität, sondern der politischen Prioritäten. Gute Renten für tiefe Einkommen und Teilzeitangestellte sind Mitte-Rechts schlicht und einfach egal. 

… und übergehen Demokratie und Förderalismus in ihrem Kampf gegen Mindestlöhne

In der Schweiz haben die Kantone Neuchâtel, Tessin, Genf, Jura und Basel-Stadt via Voksabstimmungen einen kantonalen Mindestlohn eingeführt. Dabei handelt es sich um gute Vorbilder gelebter Demokratie und föderalistischer Entscheidungsfindung. Doch den Bürgerlichen sind die Mindestlöhne ein Dorn im Auge. Denn neue Studien haben einmal mehr gezeigt, dass Mindestlöhne nicht wie gerne behauptet zu Stellenverlusten, sondern zu besseren Löhnen führen. Damit steigt die Attraktivität dieser Massnahme auch in anderen Kantonen, wie zum Beispiel im Baselbiet.

Um das zu verhindern, greifen die Bürgerlichen zum gesetzgeberischen Zweihänder. In einem Art “Verfassungsputsch” sollen die Kantone ihre Autonomie über die Mindestlöhne aufgeben müssen, und zwar obwohl das Bundesgericht entschieden hat, dass kantonale Mindestlöhne als sozialpolitische Massnahme absolut rechtens sind.

Der Nationalrat hat eine Motion angenommen, die kantonale, gesetzlich geregelte Mindestlöhne in Branchen mit allgemeinverbindlichen nationalen Gesamtarbeitsverträgen ausser Kraft setzen soll. Wir werden alles daran setzen, um diesen dreisten und autoritären Angriff auf Demokratie und Förderalismus abzuwehren.

Die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer befeuert den interkantonalen Steuerwettbewerb 

Durch die Einführung eines minimalen Steuersatzes von 15 Prozent für grosse, multinationale Unternehmen (OECD-Steuerreform) wird die Schweiz deutlich höhere Steuereinnahmen haben. Dazu wird eine neue Bundessteuer eingeführt, worüber voraussichtlich im Juni 2023 abgestimmt wird. Zusammen mit Gerhard Pfister und Markus Ritter von der Mitte haben wir uns für eine ausgewogene Verteilung der Mehreinnahmen zwischen (und unter) den Kantonen und dem Bund eingesetzt. Damit hätte eine neue Befeuerung des interkantonalen Steuerwettbewerbs ausgebremst und die soziale Kohäsion stabilisiert werden können. Nun haben sich die reichen Kantone gemeinsam mit den rechten Parteien (und einmal mehr den Mitte-Ständerät:innen) durchgesetzt. 75 Prozent der Mehreinnahmen sollen an die Kantone gehen, 25 Prozent zum Bund. Damit werden die beiden Kantone Zug und Basel-Stadt alleine 40 Prozent der Mehreinnahmen erhalten. Es ist leider zu erwarten, dass mit diesen Mehreinnahmen neue kantonale Steuersenkungen finanziert werden, die dann wiederum die weniger vermögenden Regionen in Zugzwang bringen. Fazit: Diese Vorlage ist eine verpasste Chance für einen steuerpolitischen Neustart. 

Ausblick

Tonnagesteuer: Neue Steuergeschenke für Grossunternehmen

Langsam gehen den Bürgerlichen die Ideen aus, wie Unternehmen und Reiche beschenkt werden könnten. Deswegen werden die neuen Steuergeschenke immer absurder. Das neueste Kapitel: Grosse Handelsunternehmen sollen nicht mehr nach ihrem Gewinn besteuert werden, wie das bei allen anderen Firmen der Fall ist. Sondern nach der Tonnage (der Ladekapazität) ihrer Frachtschiffe. Das ist, als ob natürliche Personen nach ihrem Gewicht oder nach der Höhe ihrer Wohnung besteuert würden. Noch viel besser: Die Steuerverwaltung weiss nicht einmal, wie gross die Steuerausfälle sein könnten, weil niemand die Übersicht über die Anzahl Frachtschiffe hat, die darunter fallen könnten. Die rechte Steuerpolitik ist erneut im kompletten Blindflug unterwegs. Das einzige, was wir wissen: Bezahlen werden die Normalverdienenden, profitieren ein paar zweifelhafte Rohstoffkonzerne. Wir werden diese Dreistigkeit mit allen Mitteln bekämpfen. 

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