Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Anwesende
Schön, seid ihr hier. Schön, feiert ihr den Tag der Arbeit. Schön, zeigt ihr Mut und markiert heute Präsenz, um zu zeigen: wir lassen uns nicht alles gefallen. Das diesjährige Thema: Die Lohngleichheit zwischen Frau und Mann. Ich möchte ganz ehrlich sein. Wenn ich an eine Podiumsdiskussion eingeladen werde und das Diskussionsthema die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau ist, schlafe ich schon bei dem Gedanken daran fast ein. Der Ablauf dieser Diskussion ist nämlich von Beginn weg klar. Vis-à-vis von mir werde ich einen männlichen Bürgerlichen sitzen haben, der mich – Achtung – ein bisschen an einen Affen erinnern wird. Ich meine das nicht despektierlich; es geht nicht um sein Äusseres, sondern das Symbolische. Ihr kennt sicher die drei weisen Affen von Nikko. Ihr wisst schon, die drei süssen Äffchen, die sich die Ohren, den Mund und die Augen zuhalten. Sie hören, sprechen und sehen nichts. Doch im Vergleich zur japanischen Sage, bei der die Äffchen aufgrund eines Abwehrzaubers tatsächlich vollkommen meinungslos und desinteressiert sind, ist das offenbar die hinterlistige Taktik der bürgerlichen Parteien, wenn es um die Gleichstellung von Frau und Mann geht. Sie hoffen einfach, es gehe irgendwann vorbei. Wenn man die Frauen nur genug lange unterdrückt, werden sie ihre Ansprüche schon irgendwann ablegen, werden sie den Elan verlieren, sich für ihre Rechte einzusetzen und sich wieder in die Unsichtbarkeit zurückziehen.
Diese Strategie ist nicht neu. Sie haben es schon bei der Diskussion ums Frauenstimmrecht angewendet. Zugegeben, sie hatten recht lange Erfolg damit. Über 70 Jahre haben Frauenrechtsaktivist*innen gegen verschlossene Türen angekämpft. Einige sind daran zerbrochen.Aber am Ende haben sie sich gemeinsam mit den fortschrittlichen Männern durchgesetzt. Denn wenn wir Linke eines in diesem Land gelernt haben, dann, dass wir einen langen Schnauf brauchen, bis unsere Anliegen gehört werden.
Und genau darum ist es keine Floskel, wenn ich euch sage, dass ich es schön finde, dass ihr so zahlreich hier seid: Weil wir heute kein gewöhnliches Fest feiern, sondern den Tag der Arbeit. Und dass die Arbeit, die wir tagtäglich leisten, entsprechend entlohnt werden muss. Gewürdigt, anerkannt, finanziell beglichen. Und wenn das nicht gewährleistet ist, wir das nicht einfach akzeptieren, sondern uns organisieren und gemeinsam für unsere Rechte kämpfen.
Und was passiert, wenn es uns einmal nicht möglich ist, den Anforderungen der Wirtschaft zu genügen? Sei es wegen eines Gesundheitsproblems oder – viel wahrscheinlicher – weil unsere Arbeit von den Konzernen nicht gebraucht wird? Es gar keine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt gibt?
Eigentlich sollten unsere Sozialwerke dann einspringen. Wir haben uns nämlich in unserer Verfassung darauf geeinigt, dass sich das Wohl unserer Gesellschaft am Wohl der Schwächsten misst. In anderen Worten: Dass wir eine Verantwortung für einander haben und es uns nicht einfach egal sein kann, wie es unseren Nachbarn geht.
Im Baselbiet gilt das offenbar nicht mehr. Unter der Federführung der SVP, die FDP und Teile der GLP (!) im Schlepptau wurde mal so schnell die Regierung damit beauftragt, die Sozialhilfebeiträge um 30% zu kürzen. Um 30%! Erst wer sich als „integrationswillige, motivierte und engagierte Person“ beweisen kann, hat Anspruch auf den benötigten Betrag. Ich frage mich: Was steckt da für ein Menschenbild dahinter?
Die Rechten wollen Armut gar nicht als Realität anerkennen, nein. Sonst müssten sie ja zugeben, dass unsere heutige Wirtschaft ein ausbeuterisches System ist. Es zerstört die Umwelt und orientiert sich nicht am Wohl der Menschen, sondern an der reinen Verwertungslogik vom Geld.
Und genau die SVP und die FDP sind es, wo von dem System profitieren. Ganz simpel zuerst einmal, weil sie nämlich oftmals nicht nur Politiker sind, sondern in erster Linie Geschäftsmänner – und ich sag extra Männer – wo in den Verwaltungsräten der Versicherungen, Pensionskassen und Grossbanken sitzen.
Aber sie profitieren auch davon, und das ist auf den ersten Blick nicht so klar erkennbar, weil Menschen, die tagtäglich in ihrer Existenz bedroht sind, die tagtäglich hoffen müssen, dass ihnen das Geld bis am Ende des Monats reicht, oftmals nicht die Zeit, nicht die Energie dafür haben, sich zu wehren. Vor allem, wenn ihnen die Bürgerlichen ständig sagen, sie seien Versager, die selbstschuld an ihrem Schicksal sind. Und genau darum bekämpfen die Rechten nicht die Armut, sondern die Armen. Weil sie davon profitieren.
Und solange dieses Machtverhältnis bestehen bleibt, werden wir beim Wort „Wirtschaft“ immer zuerst an formal-juristische Konstrukte, sprich Unternehmen oder Konzerne denken, anstatt an das, was diese Wirtschaft überhaupt ausmacht und warum es sie überhaupt gibt: Die Menschen. Wenn wir uns aus dieser Abhängigkeit lösen wollen, dann reicht es eben nicht, ein Stück des Kuchens zu verlangen, sondern denn wir müssen sagen: Wir wollen die ganze Bäckerei!
Und das, liebe Anwesende, das schaffen wir nur zusammen. Dafür braucht es nicht nur eure Präsenz am 1. Mai, dafür reicht es nicht, einmal im Jahr Farbe zu bekennen. Wir brauchen nämlich wieder mehr Mut, wir brauchen mehr kollektive Aktion. Wenn wir es zulassen, dass wir gegeneinander ausgespielt werden, seien es Frauen gegen Männer, seien es Schweizer gegen AusländerInnen oder seien es Junge gegen Alte, dann verlieren wir alle. Darum: Gehen wir gestärkt aus diesem 1. Mai hervor und sorgen wir für eine starke Sozialdemokratie und kämpferische Gewerkschaften. Dann werden sich die Affen winden, die Lohngleichheit umgesetzt werden, und wir sehen uns alle in unserer gemeinsamen Bäckerei, für Zukunft statt Abbau. Danke.