Die Verschärfungen im Schweizer Ausländerrecht treffen vor allem Arme, Kranke, Alleinerziehende und ihre Kinder. Denn wer gezwungen ist, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, kann sein Aufenthaltsrecht verlieren.
«Ihrem Mami droht die Ausschaffung».
Diese Blick-Schlagzeile zum Fall von Singer-Songwriterin Anouchka Gwens Mutter bewegte im April die Schweiz. Nach 26 Jahren soll Mudza E.* die Schweiz verlassen. So will es das Migrationsamt Baselland, dessen Entscheid das Kantonsgericht kürzlich bestätigte. Der Grund: Die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern hat Schulden und ist seit der Trennung vom Vater ihrer Kinder auf Sozialhilfe angewiesen. Sie arbeitet Teilzeit als Reinigungskraft, doch das Geld reicht hinten und vorne nicht für den Familienunterhalt. Das Migrationsamt macht eine angeblich ungenügende Integration geltend und begründet die Wegweisung mit fehlenden Arbeitsbemühungen. Der Entscheid des Bundesgerichts steht noch aus.
Die Stolpersteine unseres Migrationsregimes
Mudza E.* flüchtete in den 90er Jahren aus dem damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) in die Schweiz. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, weil sie die unmittelbare persönliche Verfolgung nicht nachweisen konnte. Ihre beiden Töchter kamen später als Sans-Papiers in der Schweiz zur Welt. Erst 2011, im dritten Anlauf, erhielten die zwei Kinder und ihre Mutter dank einem Härtefallgesuch eine Aufenthaltsbewilligung.
Armut wird kriminalisiert
Mudza E.* ist keineswegs ein Einzelfall. Hunderte Armutsbetroffene haben in den letzten Jahren wegen ihrer Bedürftigkeit ihre Aufenthaltsbewilligung verloren. Während FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutters Departement behauptet, es handle sich um Fälle von Sozialhilfemissbrauch, zeigen die Akten eine andere Realität. Armut wird zunehmend kriminalisiert.
Alleinerziehende sind besonders betroffen
Exemplarisch dafür steht ein Fall aus der Nordostschweiz. Wegen häuslicher Gewalt musste E.K.* mit ihren beiden kleinen Kindern für ein paar Monate im Frauenhaus Zuflucht suchen. Bis heute zahlt der Vater der Kinder (und Täter) keine Alimente, weshalb die Mutter auf Sozialhilfe angewiesen ist. E.K. arbeitet als Reinigungskraft und auf Abruf bei einer Fastfood-Kette. Zusätzlich besucht sie einen Deutschkurs. Das Migrationsamt beurteilte ihre Bemühungen, sich von der Sozialhilfe zu lösen, trotzdem als ungenügend und drohte mit einer Wegweisung aus der Schweiz.
Zweiklassengesellschaft bei den Sozialwerken
Als Folge der restriktiven Praxis verzichten immer mehr Ausländer:innen auf Sozialhilfe. Eine Studie im Auftrag der Sozialdirektorenkonferenz und der SKOS zeigt, dass der Sozialhilfebezug der ausländischen Bevölkerung seit 2016 sinkt, während der Bezug der Schweizer:innen konstant bleibt. Besonders betroffen sind ausländische Haushalte mit Kindern. Aufgrund des Verzichts auf staatliche Unterstützung verschulden sich die Betroffenen oft so stark, dass eine Schuldensanierung kaum mehr möglich ist. Bei Mietzinsausständen droht der Verlust der Wohnung, auf notwendige ärztliche Behandlungen wird verzichtet. Die berufliche Integration wird noch schwieriger, und die soziale Isolation verschlimmert sich.
Verhältnismässigkeit komplett aus den Augen verloren
Während die Gemeinden für die soziale Sicherheit der Bevölkerung verantwortlich sind und mit den negativen Folgen dieses strengen Migrationsregimes zu kämpfen haben, veranstalten gewisse kantonale Migrationsämter regelrecht Hetzjagden auf ausländische Armutsbetroffene. Sobald die Sozialämter die Migrationsbehörden über einen Sozialhilfebezug informieren, führen die Behörden mit seitenlangen Briefen und dutzenden Fragen sogenannte «Integrationsüberprüfungen» durch. Fragen wie «muss die medizinische Behandlung zwingend in der Schweiz durchgeführt werden? Haben Sie noch Verwandte im Heimatland? Wie oft fahren Sie dorthin zu Besuch?» lösen bei Betroffenen Panik aus.
Armut ist kein Verbrechen
Die Lösung besteht in einer Gesetzesanpassung auf nationaler Ebene, wie ich sie in meiner parlamentarischen Initiative vorschlage. Damit soll sichergestellt werden, dass aufenthaltsrechtliche Konsequenzen aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit nach zehn Jahren ordnungsgemässem Aufenthalt in der Schweiz nur möglich sind, wenn die betroffene Person die Situation, die zur Bedürftigkeit geführt hat, mutwillig herbeigeführt oder mutwillig unverändert gelassen hat. Armut ist kein Verbrechen!
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat das Anliegen im Frühling bereits zum zweiten Mal unterstützt. Im September wird der Nationalrat darüber entscheiden.