Im Februar dieses Jahres verkündete Bundesrat Berset nach zwei Jahren Pandemie an einer Pressekonferenz: Wir sind über dem Berg, denn die Covid-Infektionen sind endlich rückläufig. Nur zwei Wochen später traf uns die schockierende Nachricht: Putins Truppen marschieren in die Ukraine ein. Wir alle waren voller Mitgefühl für die Ukrainerinnen und Ukrainer und erschüttert ab der Tatsache, dass ein Angriffskrieg auf europäischen Boden nach Jahrzehnten des Friedens möglich ist. Nichts ist selbstverständlich, Fortschritt und Wohlstand sind keine Selbstläufer, das Rad der Geschichte kann auch rückwärtslaufen: Das waren für mich die persönlichen Erkenntnisse dieser ersten Kriegstage.
Sechs Monate später überlagern andere Krisenherde die Titelseiten der Tageszeitungen. Wegen Putins Energiekrieg steigen gewisse Preise massiv an, der Krankenkassenprämien-Schock steht kurz bevor. Die Sorge um unsere Freund:innen in der Ukraine scheint teilweise überlagert zu werden von eigenen Ängsten. Werden wir im Winter genügend Strom haben? Reichen die Lohnerhöhungen im Herbst? Wie zahlen wir die explodierenden Energierechnungen?
Wer behauptet, auf jede grosse Frage dieser Zeit die perfekte Antwort zu haben, lügt. Aber eines scheint für mich doch absolut unumgänglich: Es wird enorme, gemeinsame Anstrengungen brauchen, um die Energiewende in höchstem Tempo umsetzen zu können. Das Klein-Klein der Tagespolitik wird nicht ausreichen. Nur mit massiven öffentlichen Investitionen werden wir diese industrielle Revolution zu bewältigen wissen.
In dieser herausfordernden Zeit stimmen wir am kommenden Sonntag über die Änderung des Verrechnungssteuer-Gesetzes ab. Die Bankiervereinigung behauptet, Schweizer Konzerne würden ihre Finanzgeschäfte vermehrt im Ausland tätigen. Der Tagesanzeiger hat vor ein paar Tagen aufgedeckt: Das stimmt gar nicht. Der Schweizer Obligationenmarkt ist stabil. Der Handlungsbedarf ist also nicht gegeben. Jetzt könnte man meinen: Nützt’s nüt, so schadt’s nüt. Dem ist leider nicht so. Dem Staat entgegen bei einer Annahme jedes Jahr 800 Mio. Steuereinnahmen – 500 Mio. davon fliessen direkt ins Ausland ab. Angesichts der riesigen Investitionen, die für die Versorgungssicherheit notwendig sind, ist das schlicht nicht tragbar.
Auch die zweite Vorlage zur AHV ist absurd: Wir kämpfen mit steigender Arbeitslosigkeit ab 60, Rentenlücken bei den Frauen und Altersarmut. Offenbar klauen armutsbetroffene Rentner sogar immer häufiger im Laden Lebensmittel, nur um über die Runden zu kommen. Die AHV-Renten müssen dringend erhöht werden, denn 1800 Franken reichen nicht zum Leben. Anstatt dieses Problem endlich anzugehen, sollen nun Frauen und Ehepaare 7 Milliarden Franken weniger Rente erhalten. Unter dem Strich müssen alle mehr zahlen für weniger Rente.
Auch diese Vorlage gehört zurück ins Parlament. Es bleiben sieben Jahre, um eine bessere Revision zu verhandeln. Das ist die Aufgabe der Politik und das haben Sie, liebe Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auch verdient! Ich bitte Sie darum: Stehen Sie für Ihre Rechte ein. Stimmen Sie Nein zum Renten-Abbau. Ohne schlechtes Gewissen.
Dieser Text ist am 20. September 2022 in der Volksstimme erschienen.