Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen und alle dazwischen
Ich gratuliere euch, ich gratuliere uns ganz herzlich zum 100-jährigen Jubiläum des Baselbieter Gewerkschaftsbundes. 100 Jahre, das ist ein stattliches Alter – ich selbst war bei der letzten grösseren Feier zum 75. Jubiläumstag gerade mal knapp geboren. Da ist man natürlich schnell versucht, einen weiten Blick in die Vergangenheit zurückzuwerfen, in Nostalgie zu schwelgen und sich über frühere Erfolge zu freuen. Als Person, die rein statistisch noch bis ca. 2075 leben dürfte, wähle ich eine andere Herangehensweise: Ich möchte wissen, was wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter von unseren Vorgängerinnen und Vorgängern lernen können, welche Kämpfe wir weiterführen müssen, wie wir diese gewinnen.
Wie ein roter Faden zieht sich die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit durch die Geschichte der Gewerkschaften – auch des Gewerkschaftsbundes Baselland. Ob bei der Abstimmung über das Arbeitszeitgesetz 1928 (wo in den Vorstandsprotokollen des Gewerkschaftskartells zu wenig Propaganda und Irreführung der Wählerinnen und Wähler für die Niederlage verantwortlich gemacht werden), in einem wirtschaftspolitischen Grundlagenpapier von 1983 oder, vor genau 25 Jahren, als Schwerpunkt in der Rede des damaligen SGB-Präsidenten an der 75-Jahr-Feier: Immer war der politische Arbeitskampf auch einer um die Länge des Arbeitstages. Der Bürgerliche Ökonom John Maynard Keynes ging aufgrund der stetigen Schritte bei der Verkürzung der Arbeitszeit in den 1930ern davon aus, dass wir bis 2030 nur noch drei Stunden am Tag arbeiten würden. Wegen der Schwächung der Gewerkschaften sind wir leider etwas vom Weg abgekommen. Aber kürzere Arbeitszeiten entlasten die Menschen nicht nur psychologisch, sie ermöglichen intensivere soziale und politische Beziehungen und sind ökologisch notwendig und sie stärken auch die Gleichberechtigung. Auf meiner Wahlkampftour bin ich im Moment fast jeden Abend unterwegs oder bei Bekannten am Küchentisch, um mit ihrem persönlichen Umfeld über Politik zu sprechen. Jedes mal sagen viele von ihnen, ihnen fehle die Energie und die Zeit für das Politische. Die Auslastung der doppel- bis dreifachbelasteten Menschen in unserem Land, allen voran die Frauen, kann auch mit einer Arbeitszeitreduktion entgegengewirkt werden. Das kann eine richtige Repolitisierung mit sich bringen. Kurz: Aus meiner Sicht müssen wir diese Forderung zwingend wieder vorantreiben.
Erst etwas später, aber doch noch einiges vor meiner Geburt begannen die Gewerkschaften, ökologische und soziale Kämpfe zu verbinden. Wie das gehen kann, hat der GBBL gemeinsam mit der SP Baselland bereits 1979 bewiesen. Der ehemalige GBBL-Präsident Edi Belser wurde auch deswegen Ständerat, weil er sich äusserst pointiert gegen den Bau des AKW Kaiseraugst ausgesprochen hatte. Einige Jahre später lud der Gerwerkschaftsbund zusammen mit anderen Organsiationen zu einer Veranstaltung ein mit dem Titel “Welche Zukunft wollen wir uns leisten? – Vollbeschäftigung und Umweltschutz”. Heute stehen wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor genau diesen Herausforderungen: Die globale Klimakrise erfordert auch von uns vollen Einsatz. Wir müssen dazu beitragen, dass aus Klimapolitik Klimagerechtigkeit wird, aus der ökologischen Transformation eine just Transition – ein gerechter Übergang in eine CO2-freie Welt. Der Komiker Jan Böhmermann hat für kurze Zeit für den SPD-Vorsitz kandidiert. Auf Twitter hat er geschrieben, dass Klimagerechtigkeit die internationale Solidarität von heute sei, Extinction Rebellion die modernen Gewerkschaften. Auch wenn wir uns natürlich freuen, wenn die Klimabewegung gewerkschaftliche Methoden der Organisation und unser Prinzip der internationalen Solidarität übernimmt: Wir selbst werden eine absolut zentrale Rolle spielen. Nehmen wir sie an, mit der ganzen Erfahrung aus 100 Jahren kollektivem Einsatz für die Lohnabhängigen. Denn eines ist klar: Der Klimaschutz muss sozial sein oder er ist nicht. Mit Verzichtsaufrufen und dem Appell an die individuelle Verantwortung der Arbeitnehmenden wird der wirkliche Klimaschutz nicht zu machen sein. Zwar gehören Flugreisen und globale Bewegungsfreiheit für die reichsten 10 Prozent nicht zu den Menschenrechten. Doch der Klimawandel ist vor allem ein vom System gemachter: Darum sollen auch diejenigen umdenken und anders handeln müssen, welche davon in höchstem Masse profitieren. Der Schweizer Finanzplatz darf mit der Klimaerhitzung nicht weiter Profite einstreichen. Investitionen in Erdöl, Gas und Kohle gehören verboten!
Doch mit welchen Mitteln können wir Fortschritte für die erwerbstätige Bevölkerung erreichen? Auch darauf gibt die Geschichte des GBBL einge Antworten. Eindrücklich ist, welch umfassendes Bildungs- und Kulturprogramm für Gewerkschaftsmitglieder es in der Region Basel gab. Im Jahr 1948/49 waren das unter anderem Bildungsveranstaltungen zu Wohnpolitik, je sieben Theatervorstellungen des Gewerkschaftskartells und der Theatergemeinde der Arbeitnehmer, fünf Konzerte und zahlreiche Führungen. Bereits zu diesem Zeitpunkt schien die Zusammenarbeit mit Basel-Stadt intensiv gewesen zu sein.1963 gab es Volkssinfoniekonzerte, fünf Vorführungen im Stadttheater Basel und ganze neun Filmvorführungen. Mit diesem weitreichenden Angebot konnten Lohnabhängige wie ihr und ich einen Ort finden, eine kulturelle Heimat, mit vielen Gleichgesinnten. Ich selbst weiss aus der JUSO, wie identitätsstiftend solche Anlässe und Veranstaltungen sind. Daran dürfen wir gerne wieder vermehrt anschliessen. Wie wichtig die Organisation weit über die direkten materiellen Bedürfnisse schon immer war, kann man auch dem Tätigkeitsbericht 1932 entnehmen. Georg Erlacher schrieb darin: “Lernet aus den Fehlern des Kapitalismus, wie man es besser macht! Geht den Ursachen der Krise nach, dann werdet ihr auch den Ausweg daraus finden! Bauet eure Organisationen, politische, gewerkschaftliche und genossenschaftliche, zu Schulen aus, in denen man den Sozialismus lehrt!” Ich bin überzeugt, dass wir genau das auch weiterhin, ja wieder vermehrt, tun müssen: Uns nicht nur als Vertreterinnen und Vertreter der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz zu sehen, sondern wieder vermehrt einen grundlegenden Gestaltungsanspruch an die Gesellschaft zu stellen. Und uns, wie Kurt Fischer damals zum 50-jährigen Jubiläum meinte, “[…] uns immer wieder [zu] fragen, wohin unser Weg führe? Werden sich eines Tages alle Werktätigen auf ihm einfinden und sich zusammenschliessen?” Nichts weniger als das muss unser Ziel sein.
Zum Schluss möchte ich mir noch einige etwas kritischere Worte erlauben. Beim 75-Jahre Jubiläum von 1994 waren im Vorstand des GBBL acht Männer und eine Frau, lässt man das Sekretariat weg. Aus den Gewerkschaften zum Jubiläum eingeladen waren 52 Männer und acht Frauen, bei den Gästen stand bloss eine Frau 31 Männern gegenüber.
Mit acht Männern und zwei Frauen ist der Vorstand der Bünde beider Basel bis heute von Männern dominiert. Wollen wir als Gewerkschaften wieder mehr Macht und Einfluss haben, die Gesellschaft weiterhin verändern, dann müssen wir hier vorwärts machen. Die heutige Gewerkschaftsbewegung muss feministisch sein oder sie hat keine Perspektive. Der Frauen*streik, das gewerkschaftliche Ereignis dieses Jahres, war dabei als Zeichen unmissverständlich. Diesen Schwung müssen wir unbedingt für unsere gewerkschaftliche Alltagsarbeit nutzen.
Der GBBL und die Gewerkschaftsbewegung haben eine reiche und ruhmvolle Geschichte. Lernen wir daraus, liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir eine Welt voll Solidarität und Freiheit für die Lohnabhängigen, und ermöglichen wir unseren Kolleginnen und Kollegen, in 100 Jahren ebenfalls mit Dankbarkeit auf unsere Arbeit und unsere Erfahrungen zurückzublicken.