Bericht zur Herbstsession 2019

Klientelpolitik auf Kosten der Kulturschaffenden 
In der ersten Woche wurde im Nationalrat abermals das Urheberrechtsgesetz debattiert. Nach einem sechsjährigen Prozess, in dem ein fragiler Kompromiss zwischen allen Stakeholdern ausgehandelt wurde, hat die rechte Ratsmehrheit nun einen Artikel hinzugefügt, der nie Gegenstand dieser Verhandlungen war. Dabei handelt es sich um die Befreiung von Urheberrechtsabgaben. Soziale Institutionen, Spitäler und Gefängnisse sollten davon befreit werden. Das macht aus meiner Sicht Sinn. Allerdings sollen nun auch die Anbieter*innen von Hotelzimmern und Ferienwohnungen keine Urheberrechtsabgaben mehr bezahlen müssen für das Angebot, das sie auf den Geräten in ihren Räumlichkeiten machen. Diese würden zwar nicht einmal 1 CHF pro Zimmer und Monat bezahlen müssen, den Urheber*innen würde damit eine Million an Einnahmen entfallen. Dazu kommt, dass gemäss internationalem Recht ausländische Urheber*innen weiterhin bezahlt werden müssten, so dass faktisch nur inländische Urheber*innen ihre Arbeit verschenken müssten. Das Geschäft geht nun in die Differenzbereinigung. 

Gegen die Privatisierung unserer Identität 
Wer online eine Behörde kontaktieren will, soll dies laut Bundesrat künftig per E-ID (elektronische persönliche Identifizierung) können. Für mich ist klar, dass dies eine Aufgabe der öffentlichen Hand ist. Nur der Bund kann vertrauenswürdig eine sichere, verlässliche E-ID mit starkem Datenschutz anbieten. Unsere Daten sind kein privatwirtschaftliches Business. Trotz Kompromissvorschlag des Ständerats hat der Nationalrat nun alle Anträge abgelehnt und beharrt auf der Privatisierungsvorlage. Das Geschäft geht nun zurück in den Ständerat.

Tragödie im Mittelmeer und der Balkanroute
Ende des letzten Jahres waren 70.8 Millionen Menschen auf der Flucht. Ganze 80 Prozent der Geflüchteten sind heute in Nachbarländern ihrer Herkunftsstaaten. Während wir in der Schweiz zwei Bundesasylzentren schliessen, sterben die Menschen an den Grenzen Europas. In der ersten Woche lehnte der Nationalrat trotzdem eine Motion der SP-Fraktion ab, das legale und sichere Flucht- und Migrationskorridore gefordert hat. Bundesrätin Keller-Sutter versteckte sich dabei hinter der europäischen Blockade im Prozess um einen sinnvollen Verteilschlüssel der geflüchteten Menschen. Die rechte Ratsmehrheit unterstützte dies. 

10 Tage Papizeit – noch lange nicht genug! 
Der Nationalrat wagte ein kleiner, aber wichtiger Schritt, indem er immerhin einen zweiwöchigen “Vaterschaftsurlaub” gutgeheissen hat. Aber das Wort “Urlaub” gefällt mir überhaupt nicht, weil es suggeriert, die Geburt eines Kindes hätte in irgendeiner Form etwas mit Ferien zu tun. Die SP wird deshalb eine Initiative für eine anständige Elternzeit lancieren. Hier kannst du mein Votum im Rat nachschauen. 

«Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen»
Wer das Argumentarium der Begrenzungsinitiative bereits überflogen hat, weiss, dass diese Initiative angeblich alle Probleme unserer Zeit auf einen Schlag lösen soll: Egal ob es um Gewalttaten, um die Überlastung unserer Gesundheitsinstitutionen, die Energieversorgung oder den Klimawandel geht: Die Kündigungsinitiative regelt es. Doch worum geht es den Initiant*innen wirklich? Die SVP will den Lohnschutz abschaffen, damit Konzerne in der Schweiz noch höhere Gewinne für Manager und Aktionär*innen erzielen können. Dabei ist die Personenfreizügigkeit eine Erfolgsgeschichte. Die Löhne sind gestiegen, die Schwarzarbeit gesunken und die Gesamtarbeitsverträge ausgebaut. Hier kannst du mein Votum im Rat nachschauen.

Lohngleichheit: Einmal mehr griffige Massnahmen abgelehnt 
Der Nationalrat hat eine parlamentarische Initiative abgelehnt, die eine unabhängige Lohngleichheitskommission schaffen wollte. Damit sollte die verfassungsrechtlich garantierte Lohngleichheit umgesetzt werden, mittels Lohnkontrollen und Sanktionen gegenüber fehlbaren Unternehmen.

Ein schönes Beispiel für die alltägliche schweizerische Lobby
Eine Motion von Ständerat Filippo Lombardi (CVP/TI) mit dem Titel Konsumentenfreundlichere Preisbekanntgabeverordnung wurde im Nationalrat angenommen – entgegen dem Widerstand der Linken und des Bundesrates. Auf den ersten Blick hört sich der Vorschlag schön an. Lombardi verlangt, dass Preise und Rabatte nicht mehr auf jedem Werbemittel kommuniziert werden müssen und digitale Quellen in Zukunft ausreichen (URL oder QR-Codes). Was nicht alle wissen: Filippo Lombardi ist Präsident der Organisation Schweizer Werbung. Es geht ihm höchstwahrscheinlich nicht um die Konsument*innen, sondern um die Werbebranche. Als Konsumentin werde ich eher selten via URL nach dem 100-Gramm-Preis suchen, um vers. Produkte vergleichen zu können. Solange er aber schriftlich in der Werbung ausgewiesen ist, greife ich gerne darauf zurück – als Vergleichswert, zur Transparenz. Auf den zweiten Blick ist diese Motion ein schönes Beispiel für die alltägliche Arbeit der mächtigen Lobby im Bundeshaus.

Unterstützung der Kantone bei der Stellenmeldepflicht
Zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative hat das Parlament bekanntlich eine Stellenmeldepflicht eingeführt, damit inländische Arbeitslose einen zeitlichen Vorsprung bei der Stellensuche im Inland haben. Zukünftig beteiligt sich der Bund an den Kosten, die den Kantonen durch die Umsetzung entstehen. In vier Jahren wird die Rolle des Bundes beim Vollzug überprüft werden. Die SVP hat sich gegen die finanzielle Unterstützung gewehrt.

Entwicklungshilfe wird nicht gestärkt 
Die SP-Fraktion hat eine Motion eingereicht, damit die mit der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2017 bis 2020 gewährten Mittel ganz für die Entwicklungshilfe ausgeschöpft werden. Die grosse Mehrheit des Nationalrats hat die Motion allerdings abgelehnt.

Der Klimastreik wirkt: Mehrheit für Flugticketabgabe 
Nachdem noch im Dezember letzten Jahres die Einführung einer Flugticketabgabe keine Mehrheit im Nationalrat gefunden hatte, wurde nun mit 112 zu 61 Stimmen ( eine klare Mehrheit) eine entsprechende Motion angenommen. Klar ist, dass die Flugticketabgabe im CO2-Gesetz verankert werden muss. Dieses Geschäft ist aktuell im Ständerat. Nach der peinlichen Behandlung im Nationalrat vor einem halben Jahr ist dank des grossen Drucks der Klimajugend im Ständerat einiges passiert. Aber es wird nicht reichen, um den notwendigen Absenkungspfad der CO2-Emissionen zu gehen. Es ist deshalb dringend nötig, dass die Klimastreiks und -demonstrationen weitergehen und noch grösser werden. 

Was der Ständerat zum CO2-Gesetz beschlossen hat: 
Während der Eintretensdebatte habe ich die Diskussion im Ständerat zum CO2-Gesetz live mitverfolgt. Was klar wurde: Die Proteste der Klimajugend werden bereits gehört. Nicht nur das, sie zeigen bereits Wirkung. Die Kommissionsmitgliedern, die in den letzten Monaten intensiv an der Gesetzesvorlage gearbeitet haben, waren sich ihrer Verantwortung bewusst. Vor allem aber wussten sie, dass ihnen Hunderttausende auf die Finger schauen würden. Dieser Druck hat gewirkt. Der Ständerat hat beschlossen, dass für Altbauten ab 2023 ein CO2-Grenzwert gelten soll, wenn Heizungen ersetzt werden müssen. Neue Ölheizungen werden dann nur noch möglich sein, wenn das Haus gut isoliert ist.

Die Lobby der Schafbauern hat sich durchgesetzt – auf Kosten der Wildtiere
Vor einigen Monaten hat der Weltbiodiversitätsrat informiert, dass bis zu einer Million Tierarten vom Aussterben bedroht sind. Das verabschiedete Jagdgesetz verschlimmert diese Situation. Denn der Schutz der Wölfe und anderen geschützten Arten (Biber, Graureiher, Höckerschwan, Bär uvm.) wird mit dem neuen Gesetz gelockert. Wenn durch sie Schaden droht, dürfen sie geschossen werden – ein Abschuss auf Vorrat! Das war bereits heute bei übermässige, Schaden möglich, allerdings wurde dafür bis jetzt die Erlaubnis des Bundes benötigt. Damit sollte dem grossen Druck der Bauernlobby auf die betroffenen kantonalen Regierungen entgegengewirkt werden – zum Schutz der Tiere und der Biodiversität. Das neue Gesetz ist unausgeglichen und wird die Wildtiere in unserem Land ein zweites Mal ausrotten. Das Referendum wurde von Umweltverbänden, SP und Grünen bereits angekündigt. Es wird also zur Abstimmung kommen.

Das neue Datenschutzgesetz: Einzig für die Kapitalinteressen
Ursprünglich war es die Idee, dass das 27 Jahre alte Datenschutzgesetz revidiert und den Gesetzesgrundlagen der EU angeglichen werden sollte. Die bürgerliche Mehrheit in der staatspolitischen Kommission hat die Reform jedoch zweckentfremdet im Sinne der Datenkraken, der Grossunternehmen, Krankenkassen uvm. Neu sollten Personendaten über den Bezug von Sozialhilfe nicht mehr als besonders schützenswert gelten. Begründet wurde das damit, dass es im Interesse von VertragspartnerInnen, AnbieterInnen oder sogar der Öffentlichkeit sein könne zu wissen, ob eine Person Sozialhilfe bezieht. Auch Informationen zu gewerkschaftlichen Tätigkeiten oder Mitgliedschaften sollen nicht mehr zu den schützenswerten Daten gehören. Für Profiling (also das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen mittels Auswertung personenbezogener Daten) soll bereits eine implizite Einwilligung der Betroffenen ausreichen, bei Bonitätsüberprüfungen sollen solche ebenfalls nicht verboten werden. Mit einer Ausnahme, dass Informationen zum Bezug von sozialer Hilfe weiterhin als schützenswerte Daten gelten sollen, sind bei der Behandlung im Rat keine Verbesserungen erfolgt. In der Gesamtabstimmung hat sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten, um dem Ständerat die Möglichkeit zu geben, das Gesetz zu verbessern.  

Goldene Giesskanne: Kinderabzüge für die reichsten Familien
Kurz vor Ende der Legislatur hat die SVP, FDP und CVP-Mehrheit nochmals bewiesen, wessen Interessen sie im Parlament vertreten. Trotz dem mahnenden Worten des SVP-Bundesrates Ueli Maurer und der Bitte der Kantone, die Vorlage abzulehnen, hat das Ratsplenum in der letzten Woche Steuersenkungen von 350 Millionen für die reichsten Familien verabschiedet. Unter dem Deckmantel der Familienförderung wurden Steuerabzüge für Drittbetreuungskosten eingeführt. Was auf den ersten Blick gut tönt, stellt sich bei genauerer Betrachtung als massive Subvention für die reichsten Familien heraus. Erst wer über 100’000 steuerbares Einkommen vorbringt (ab 120’000 Bruttoeinkommen bei einem Zweiverdienerpaar) profitiert von dieser Vorlage. Die Familien mit mittleren und tiefen Einkommen profitieren in keiner Weise von diesem Steuergeschenk. Dass diese sachfremde Forderung in die Vorlage aufgenommen wurde, ohne Mitbricht der Finanzkommission, ohne Vernehmlassungsverfahren, ist unverantwortlich und reine Klientelpolitik. 
 

Im festen Griff der Krankenkassen gegen die Kantone
Gegen Ende der Session beschloss der Nationalrat dann über Efas (Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen). Was auf den ersten Blick ungefährlich tönt, wird die Macht der Versicherer massiv stärken. Ambulante und stationäre Leistungen sollen künftig aus dem gleichen Topf finanziert werden. Heute zahlen die Kantone gut die Hälfte an stationäre Behandlungen, den Rest übernehmen die Krankenkassen. Neu sollen nun die Kantone gut einen Viertel der Gesamtkosten übernehmen. Brisant daran: Auch Privatkliniken, die nicht auf einer kantonalen Spitalliste stehen, werden davon profitieren, wenn die Grundversicherung künftig 77.4% der Behandlungskosten übernimmt (statt bisher 45%). 

Meine Vorstösse in dieser Legislatur:

LGB-Vorstoss wurde angenommen: 
Schwule, lesbische und bisexuelle Menschen – allen voran Frauen – weisen heute einen schlechteren Gesundheitszustand im Vergleich zur Restbevölkerung auf. Das ist kein Zufall, sondern eine direkte Auswirkung der strukturellen Diskriminierung, mit der sexuelle Minderheiten in unserer Gesellschaft konfrontiert sind. Bis heute gibt es nur internationale Studien dazu. Dank meinem Vorstoss muss der Bundesrat nun einen Bericht zur Situation in der Schweiz verfassen. Trotz Widerstand der SVP und grossen Teilen der CVP und FDP überwies der Rat mein Postulat mit 100 zu 90 Stimmen. 

Unmenschliche Zustände in Kroatien: Im Juni hatte ich aufgrund eines Rundschau-Berichts zu illegalen Push-Backs an der kroatisch-bosnischen Grenze den Bundesrat verschiedene Fragen gestellt. Nachdem nun das Bundesverwaltungsgericht bereits in zwei Fällen das SEM bei einer Dublin-Rückweisung nach Kroatien gestoppt hatte, haben Nationalrätin Mattea Meyer (SP, ZH) und ich diverse Nachfragen gestellt. Der Blick berichtete darüber.

Gegen die bürgerliche Lobby im Parlament: Die Krankenkassen-Lobby ist viel zu mächtig: 1.4 Millionen fliessen jährlich direkt in den Nationalrat (an SVP, FDP und CVP). Dabei sollten endlich die Löhne der CEOs gedeckelt, Werbung verboten und Lobbyisten aus der Gesundheitskommission verbannt werden. Dazu habe ich gemeinsam mit Mike Egger (SVP, SG) einen Vorstoss eingereicht. Der Blick berichtete darüber.

100 Milliarden/Jahr fehlen den Frauen: Mascha Madörin hat vorgerechnet, wie gross die tatsächliche Einkommenslücke für Frauen in der Schweiz sind. Eingerechnet dabei werden nicht nur die Lohnungleichheit (ca. 28 Mia.), sondern vor allem auch die ungleiche Beteiligung der bezahlten und unbezahlten Arbeit. Denn diverse Studien zeigen, dass Frauen gleich viel (oder mehr) Arbeitsstunden wie Männer leisten, allerdings für den grösseren Teil der Stunden keinen Lohn erhalten (unbezahlte Pflegearbeit). Madörin rechnet vor, dass den Frauen dadurch nochmals 80 Milliarden Franken im Jahr fehlen. Das führt zu massiven Einkommens- und Rentenlücken und einem massiv höheren Armutsrisiko. Ich verlange in meinem Postulat, dass die entsprechende Erfassung in regelmässigen Abständen vom Bund durchgeführt werden. 

 

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